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Wie wärs mit Linux?

  • 5. April 2012

Mir steht es bis dort oben. Als Standard-Abonnement und regelmäßiger derStandard.at-Leser schaue ich mir selbstverständlich auch den Webstandard an – technikaffin undeine sehr große Bandbreite an Themen, die recht ordentlich aufbereitet sind.
Nur eines geht mir ganz gewaltig auf den Keks: Diese ewigen verfluchten Religionsfragen. Ob es jetzt die Windows-Linux-MacOSX-Frage oder der ewige iOS-Android-Disput ist (die anderen Systeme lass ich jetzt mal außen vor), ich will die Schlagzeilen gar nicht mehr anklicken, sondern einfach bei heise weiterlesen, wo die Kommentare nicht unmittelbar darunter stehen.

Wie das Amen im Gebet stehen nach den Artikeln im Kommentarbereich so gut wie immer irgendwelche Kommentare, die eine Plattform bashen. Manchmal les ich mir die Kommentare wirklich durch und finde dabei den einen oder anderen wirklich lesenswerten Kommentar. Wirklich selten sind die Kommentare eloquent, fundiert und/oder objektiv. In den meisten Fällen macht ein Troll eine provokante Bemerkung und viele fangen dann an, darauf zu posten – und nicht selten wirds dann gehässig.
Nun ist allgemein bekannt, dass beim Standard auf den guten Ton geachtet wird und nicht selten liest man über Beschwerden, weil der Foromat (die "Zensurmaschine") einen Kommentar gelöscht hat – sein es nun berechtigt oder nicht. Manchmal schreibe ich meinen eigenen Senf dazu, versuche dabei aber, möglichst nicht provokativ oder beleidigend zu schreiben. Gut, manchmal ist etwas subtiler Boshaftigkeit dabei und manchmal ein rauherer Ton, weil die Antwort das erforderte. Dennoch versuche ich mich, an die Netiquette zu halten, das könnte man beinahe als mein persönliches heiliges Prinzip betrachten. Ich erachte die Netiquette für sehr wichtig im Umgang mit anderen im Internet. Wenn wir im Internet unsere für den Alltag gelernten Umgangsformen ablegen würden, wo kämen wir dann denn hin?

Ich war schon sehr sehr lange von Linux fasziniert. Bereits 1997, gerade einmal etwas über einem Jahr, nachdem mein Pentium 100 (hochgetaktet auf 133) Windows 95 spendiert bekam, bekam ich von meinem Onkel eine CD mit Red Hat 4.1. Ich habe das Ding vollständig selber installiert und sogar KDE 1.0 nachinstalliert, das damals nicht auf die CD passte. Bis zum Jahr 2006 hatte ich immer wieder Linux verschiedenste Rechner installiert, nur konnte ich mangels Erfahrung nicht damit arbeiten und verwendete es bestenfalls, um damit anzugeben. Und vielleicht, um hin und wieder mal ein paar Befehle reinzuklopfen.

2006 war für mich das Jahr, in dem ich mir selber vornahm, auf Linux als Hauptsystem umzusteigen. Die Fortschritte, die Ubuntu gemacht hatte, waren der letzte Anstoß, den ich gebraucht habe. Siehe da – viele Programme, die ich auch im Studienbetrieb verwende, gibt es auch nativ für Linux – oder mindestens eine vollwertige Alternative. So hat der Umstieg eigentlich recht gut funktioniert. Auf meinem PC hat Linux die komplette Hardware korrekt erkannt und ich habe gelernt, mit Shellscripts und diversen Hacks ein System zu erschaffen, das auf mich hört – das ganze Ding hat auf die Befehle gehört, die ich in die Tastatur geklopft habe – ein gutes Gefühl.

Bereits vor dem Umstieg stand für mich außer Frage, dass ich das System niemandem einfach so unreflektiert aufschwatzen geschweige denn aufzwingen will. Linux ist… anders. Mir hat die Benutzung im Laufe der Zeit etwas mehr über hardwarenahe Programmierung gezeigt, aber auch Alternativen zu Windows-Softwarelösungen aufgezeigt. Kurz, Linux, Darwin, sowie FreeBSD und ein ganz klein wenig Minix/QNX haben mir noch einiges beigebracht, das mir aus der Windows-Welt völlig unbekannt war.

So. Somit war der Claim abgesteckt. Ich hab kein Problem mit Windows oder Linux, lass jedem sein Ding und bevorzuge selber, mit Linux zu arbeiten. Ja, ich arbeite. ich bin Softwareentwickler. Und als solcher kann ich problemlos unter Linux arbeiten. Ich habe jedem in meiner Umgebung den PC gewartet und so wie sie es wollten in Schuss gehalten.
Soweit so gut, in dem Zustand lebt jeder in Frieden. Dann kommt aber mein Problem. Und zwar mit den Leuten aus dem 3. Lager. Apple hat es immer schon ausgezeichnet beherrscht, zu emotionalisieren. Das Produkt war nicht etwa ein Handy, es war ein iPhone. Die Leute hatten kein Notebook mehr, sie hatten ein Macbook, ein MBA oder ein MBP. Früher war die Unterscheidung sinnvoll, weil die Architektur eine andere war und Programm nicht oder nur unter hohem Aufwand lauffähig waren. Heute ist ein Mac nichts anderes wie ein PC im Unibody-Aluminiummantel, aber genug davon.

Was mich an den Leuten bei Mac OSX aufregt ist, dass sie ihr System "lieben". Und das führt wiederum unweigerlich zu einer rosaroten Brille. Bitte versteht mich nicht falsch. soll jeder mit seinem System umspringen wie er will – solange sie damit nicht missionieren gehen. Und damit habe ich ganz konkret das Problem: Ich habe bisher schon einige Male erlebt, dass ein Apple-Anhänger einem User Mac OSX aufgeschwatzt haben – und dieser dann erst wieder beispielsweise auf seinen teuer gekauften iMac ein Windows installieren mussten, da die Software, die sie zum Arbeiten benötigten, nunmal Windows voraussetzt.

Eine Migration will bedacht sein. Nicht umsonst werden in Unternehmen vor einer Migration Pläne, Analysen und Strategien erstellt. Bevor nur ein Byte verschoben wird, werden erst einmal Unmengen von Papier bedruckt und beschrieben, um auf möglichst viele Fälle vorbereitet zu sein. Auch die Migration von Privatanwendern oder Einzelunternehmern will wohlbedacht sein. Es geht dabei zwar um weit weniger Daten oder Abhängigkeiten, aber in der Regel sind dennoch welche da – und sei es nur MS Office.

In zwei Fällen, die sich in meiner Bekanntschaft abgespielt haben, musste nach dem Kauf eines iMacs ich den ganzen Rest erledigen. Der Kollege, der das Ding so großmundig angepriesen hat, hat sich mit einem "naja, da gibts das und das…" und mit einem "naja, da kenn ich mich nich so gut aus…" in beiden Fällen mehr oder weniger elegant aus der Affäre gezogen. Am Ende wurde das teure Ding gleich nochmal um ein Eck teurer, weil die User Programme verwenden, die unter Windows liefen. Abgesehen davon war die Einschulung interessanterweise auch mein Ding.
Genau gleich geht es mir bei den Vorschlägen a la "hei, wieso nicht Linux?". Wenn dieser Vorschlag nicht von einem Vollprofi stammt, sollte man ihn ignorieren. Solche Vorschläge gehen meistens voll in die Hose und die Anwender sind anschließend nicht mehr gewillt, auch nur irgendein anderes Programm zu versuchen. Ich verwende es. Ich arbeite damit. Mein Linux funktioniert, so wie ich es will. Nur würde ich nie einem Anwender vorschlagen, er soll es doch mit Linux probieren, es ist "billiger" oder "besser" oder was weiß ich. Es ist eine Art Ethik, auf einen Anwender einzugehen und seine Wünsche zu akzeptieren. Ich lasse jedem sein Windows, obwohl es für mich erhebliche Defizite hat, die ein Unix oder ein Linux nicht haben. Computer sind zum Arbeiten da, nicht zum liebhaben.

Nochmal. Ich habe etwas gegen diese ganze Basherei. Wenn Appler von Windoof reden oder wenn Windows-Anhänger Linux-Jüngern ein Sexdefizit attestieren, dann muss ich darüber nur müde lächeln und drehe mich gleichzeitig weg – weil Diskussionen, die solche Elemente beinhalten, meinen Blutdruck in die Höhe treiben. Wie vorhin schon geschrieben: Ich hab mein System gefunden, und ich schwatze es niemandem auf. Es ist meines, ich habe es auf meine Bedürfnisse angepasst und bin zufrieden damit. Rezeptionisten in einem Hotel wollen mit dem Rechner arbeiten und nicht herzeigen, wie fancy das Ding doch ist. Wenn eine Software den Internet Explorer voraussetzt, dann muss ein IT-Profi das akzeptieren und damit umgehen können – aber vor allem, muss er das erkennen können. Ein Mac OSX ist fancy und es funktioniert. Nur was ist, wenn es einmal nicht funktioniert? Fehlerdiagnose ist tricky – und vor allem werden krtische Fehler dem Benutzer vorenthalten. Den typischen "Bluescreen", den die Appler so gerne verarschen, gibt es auch auf Mac OSX – nur wird dieser von einem hübschen Fehlerbild kaschiert. Ganz schlechter Stil. Und vor allem wird man nicht automatisch zum Profi, nur weil man ein Airport Express Utility bedienen kann. Wenn einmal ein Spezialfall eintritt, steht man schnell einmal vor der Wand. Auch hier wurde bei der Migration geschludert – ohne Anforderungsprofil schießt man leicht ins Blaue.

Jeder Anwender hat seine Anforderungen, seine Programme und seine Umgebung und ein System passt immer am besten zu diesem Profil. Selbst wenn man mit der aktuellen Plattform unzufrieden ist, muss man sich überlegen, ob sich ein Umstieg wirklich lohnt, Wenn man das Gefühl hat, dass der Arbeitsfluss gestört ist, wird man sich die Alternativen anschauen müssen und anfangen, abzuwägen. Einfache Anwender müssen sich dabei auf die Kompetenz des IT-Verantwortlichen vertrauen können – und dieser muss dem Anwender verpflichtet sein. Das Verhältnis ist ähnlich dem des Patienten zum Arzt – und dessen sollten sich die Leute bewusst sein.

Diese Religionsfragen sind auf Mobiltelefonen noch stärker ausgeprägt. Je nach Artikel im Webstandard kriechen die Basher und die Verehrer der jeweiligen Plattform aus ihren Löchern. Und ähnlich unerbittlich wie die Konzerne in den aktuell anhängigen Patentstreitigkeiten geben sich die Anhänger der jeweiligen Lager. Nur auch hier frage ich mich: Wieso tritt man so auf die andere Plattform ein? Ist es nicht viel gesünder, einfach den Artikel nicht zu lesen, oder einfach das objektive aus einem Artikel rauszuholen?

Ich habe es so satt. ich für meinen Teil stelle mir immer 1-2 Fragen, bevor ich weiterlese oder auf einen Bash antworte.

  • Interessiert mich der Artikel?
  • Betrifft der Artikel einen Schwachpunkt des Systems, das ich nutze, oder einen einer anderen Plattform?
  • Im Kommentarbereich: Ist der Kommentar Geistreich? Hilfreich? Überflüssig?
  • Ist der Kommentar berechtigt? Auch wenn er auf die von mir benutzte Plattform abzielt?

Vielleicht sollte jeder, bevor er in ersten emotionalen Impuls irgendeinen Brösel von sich gibt, sich einmal ein paar selbstkritische Fragen stellen. Natürlich schafft das nicht alle Trolle aus der Welt – aber vielleicht kommen sich diese eines Tages blöd vor, wenn sie sich nur gegenseitig trollen.

Gerade heute kam die Android-Version von Instagram heraus. Ich persönlich halte nichts von dieser oder von ähnlichen Apps, aber was ich heute im Standard gelesen habe, lässt mich erneut an der Menschheit zweifeln. #teamiPhone hat einen regelrechten Shitstorm vom Zaun getreten, weil sie ihre Plattform von Leuten mit schlechtem Geschmack bedroht sahen. Wieso? Instagram ist nunmal nicht mehr iPhone-only – abgesehen davon gehen mir diese Instagram-Fotos eh schon gewaltig auf den Keks. Aber jetzt die Androidler dafür verantwortlich machen, dass Instagram so langsam ist? Facepalm deluxe.

Nochmal, ich hab die Schnauze voll. Ich hab mein System, ihr verwendet eures. Ich lass eurer System in Ruhe (bzw schreib ich subjektive Kritik, die keinem wehtun soll), und ihr sollt auch die anderen in Ruhe lassen. Es muss wieder eine Gesprächskultur Einzug halten, mit der jeder klarkommt. Das muss doch möglich sein in Gottes Namen.

Ein ziemlich amüsanter Quote, leider weiß ich nicht, von wem der stammt.

"Wer hätte sich vor zehn Jahren gedacht, dass auf dem mobilen Sektor gerade Linux und BSD um die Vorherrschaft kämpfen?"