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Wer vertritt die Nichtwähler?

  • 1. Oktober 2013

Die Wahl ist geschlagen und nach so einem unterirdischen Wahlkampf bin ich ehrlich gesagt froh, dass es vorbei ist – das Ergebnis mag einem gefallen oder nicht, aber es ist endlich vorbei. "Der Wählerwille" hat die Parteien zur Arbeit, zur Koalitionsbildung gebracht – jetzt ist die Regierung am Zug. Der Wählerwille? Gehören Nichtwähler zu den Wählern – denn diese Fraktion hat ebenso eine Entscheidung getroffen. Auf einen Denkanstoß von Daniel Friesenecker habe ich einmal durchgerechnet, was es bedeuten würde, wenn man der Wählergruppe, die man am Wahltag wohl am wenigsten erwähnt, einen Platz im Parlament einräumt.

Der Wahlsonntag ist endlich vorbei. Nach den ersten Hochrechnungen habe ich mich auf die Website des BMI begeben, um ein klein wenig durch die Ergebnisse zu klicken. Was mir dabei aufgefallen ist: Die Wahlbeteiligung ist erschreckend niedrig – nur 65,9% (ohne Wahlkarten) der wahlberechtigten Österreicher haben heuer Österreichs Zukunft gewählt.

Selbstverständlich sind Nichtwähler bei den Analysen ein Thema – welche Partei ihre Wähler mobilisieren konnte und welche Partei ihre Wähler nicht angesprochen hat ist direkt danach natürlich ein großes Thema. Nichtwähler haben in den Analysen grafisch den gleichen Stellenwert wie alle etablierten Parteien – wieso dann auch nicht anderswo so behandeln? Nichtwähler haben vermutlich ebenso Interessen, die es im Parlament zu vertreten gilt. Dementsprechend sollten sie in einer Demokratie ebenso gleichwertig behandelt werden.

Wenn wir uns das jetzt durchrechnen, ergibt sich folgender prozentueller Vergleich – im Vergleich zu dem jetzigen Wahlergebnis, das wir gestern präsentiert bekamen.

Wie man schön sieht, haben die NICHT eine ordentliche Mehrheit. Ohne sie kommt keine qualifizierte Zweidrittelmehrheit mehr zustanden.

Wie sieht das mit den Mandaten aus? Die Sache mit den Mandaten ist ja ebenso eine lustige Geschichte. Im Zuge dieses Beitrags habe ich mich einmal ein klein wenig in die Funktionsweise der Mandatsberechnung auseinandergesetzt (das letzte Mal war in der HTL – es ist damals wie heute nicht wirklich logisch…). Abgesehen von der eigenartigen Berechnung hat das D’Hondt-Verfahren einen nicht unerheblichen Nachteil: Kleinparteien werden durch die proportionale Verzerrung benachteiligt. Bei der Berechnung habe ich mich auf diese Website bzw. auf das dort vorhandene Rechenbeispiel gestützt. Da das dortige Beispiel im Excel 5.0-Format doch etwas angestaubt ist (und nicht sicher ist, wann Microsoft die Unterstützung für das Format fallen lässt), habe ich eine aktuelle Datei mit aktuellen Ergebnissen verwendet – ich werde diese die nächsten Tage hier online stellen.

Nichtsdestotrotz, die derzeitige Mandatsverteilung sollte bekannt sein.

Verzeiht mir die unfancy-Vollkreisdarstellung, fancy Halbkreise bietet dieses Plugin nicht. Allerdings sollte sehr sehr schnell ersichtlich sein, welche Auswirkungen der Einzug der NICHT auf die österreichische Politik hat.

Es gibt nur mehr 5 Fraktionen – FRANK und NEOS schaffen die 4%-Hürde nicht. Auch die anderen etablierten Parteien sind keine Schwergewichte mehr – für eine Verfassungsmehrheit wird es knapp, mindestens die Hälfte der Abgeordneten muss anwesend sein – und 66% der Anwesenden müssen einer Meinung sein. In Deutschland gibt es darüber hinaus noch die qualifizierte Zweidrittelmehrheit – die verlangt, dass 66% aller Abgeordneten einer Meinung sein müssen.

Damit kommen wir nun zu der Besetzung des Nationalrats. Den Auftrag zur Regierungsbildung wird die NICHT nicht bekommen – wem sollte sie Bundespräsident Fischer denn anvertrauen?

Ebenso sieht es aus mit der Besetzung der Mandate im Nationalrat. Es gibt keine Liste, somit gibt es keinen, der legitimiert Anspruch auf diese Plätze hat. Damit kommen wir zum Kernproblem des "Nichtwählens aus Protest". Der Nichtwähler fühlt sich hintergangen von der Politik, war einfach zu faul, hat keine Zeit,oder welche Ausreden es denn sonst noch alle gibt.

Armin Wolf hat es vor 2 Tagen treffend auf den Punkt gebracht. Zum Einen hat er einen doch sehr interessanten Rant auf Nichtwähler aus dem Buch "Höllenritt" (Frank Stauss) auf Facebook veröffentlicht. Zum Anderen hat er ein kleines Rechenbeispiel gepostet, der zeigt, wieviel Protest der intellektuell erhabene Nichtwähler wirklich lostritt – nämlich genau gar nichts. In Wirklichkeit tritt sogar ein umgekehrter Effekt ein, wie das Rechenbeispiel veranschaulicht.

Egal wie man es dreht und wendet, es gibt genau gar keinen sinnvollen Grund, weswegen man bewusst nicht zur Wahl gehen sollte. Ein Nichtwähler, der bewusst und mit voller Absicht seine Stimme verworfen hat, hat sich selbst aus dem demokratischen Diskurs genommen. Ein Nichtwähler hat kein Recht, sich über das bestehende (oder kommende) System zu beschweren. Selbst wenn ihm das kommende System gefallen sollte – wer sagt, dass dieses die nächste Wahl überdauert? Bei der Wahl hat jede wahlberechtigte Person das Recht (und die Pflicht), das System zu verteidigen oder in Frage zu stellen. Durch die Nichtabgabe der Stimme ist das Recht verwirkt worden. Provokant könnte man einen Schritt weitergehen, etwa: Menschen, denen die Zukunft Österreichs egal ist, ist offensichtlich ihre eigene Zukunft ebenso egal – wieso sollten diesen Menschen Anspruch auf die Arbeitnehmerveranlagung bekommen?

Und dennoch, der Nichtwähler hat einen Grund, warum er nicht wählen geht: Keine einzige wahlwerbende Partei spricht ihn an. Der Nichtwähler fühlt sich nicht vertreten und hat sich offensichtlich entschieden, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Der hohe Nichtwähleranteil sollte auch der Politik Sorgen bereiten. Es gibt sie nicht, die Fraktion der Nichtwähler, und auch der demokratische Prozess sieht eine Einbeziehung des Nichtwählers nicht vor – allein dieser Umstand ermöglicht es, den immer höher werdenden Anteil der Nichtwähler aktuell noch zu ignorieren. allerdings sinkt die Legitimation mit der Wahlbeteiligung, und das sollte allen zu denken geben. Mein Vorschlag wäre: Bevor diese Legislaturperiode zu Ende geht, sollte das Plenum im Parlament selbst zeigen, wie es aussehen würde, wenn 71 Plätze leer blieben und "nur" 4 Fraktionen die Geschicke Österreichs lenken. Vielleicht wird mit diesem Bild selbst dem "intelligentesten" Nichtwähler deutlich, dass sein "Protest" Österreich erst recht lähmt – paradoxerweise genau der Zustand, gegen den sich das Protestnichtwählen in der Regel wendet.

UPDATE: Die Zahlen sind nicht mehr aktuell, mit den Briefwahlstimmen sind wir "nur" noch bei einer Wahlbeteiligung vor 74,4%. Und dennoch dürfte das Problem nicht kleiner zu werden.