Prolog:

Wir schreiben das Jahr 2011. Fukushima, der arabische Frühling. Ziemlich frisch in der eigenen Wohnung. Und auf der Suche nach einem Ersatz für den betagten DVD-Player.

Damals war die Media-Player-Landschaft eine Andere. Google Nexus Q hat es nicht zu uns geschafft, es gab ein paar halbgare Android-Boxen, der Raspberry Pi war noch weitestgehend frisch. Ein paar Enthusiasten behaupten, dass das Ding eine gute Media Box abgibt, aber ich war, nachdem ich mir selbstverständlich auch einen gekauft habe, nicht überzeugt: Das Ding sah mir noch entschieden zu schwachbrüstig aus.

Und dann, nach einer gefühlten Ewigkeit des Suchens kam aus heiterem Himmel die Boxee Box by D-Link.

Kapitel 1: Honeymoon. Boxee Box als lokaler Medienmanager

Boxee – die Software auf der Box – war ein Fork von XBMC (heute Kodi), das damals schon extrem vielseitig und stabil war. Die Basis eines Media Centers (Daher der Name: Xbox Media Center), die im Laufe der Zeit von einer Community ordentlich aufgebohrt wurde und ein richtig mächtiges Werkzeug für die Medienverwaltung aller Art (Filme, Serien, Bilder, Musik, neuerdings auch Spiele, PVR… hab ich was vergessen? garantiert.) wurde. Eine freie Software mit einem derartigen Funktionsumfang und einer derart stabilen Codebasis ist auch heute noch nicht alltäglich.

Meine Frau und ich verbrachten Abende damit, unsere Mediensammlung zu katalogisieren und in die Boxee-Bibliothek zu füllen. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, alle DVDs zu konvertieren und eine wirklich saubere Bibliothek zu haben. Und Boxee war sehr hilfreich. Es gab zwar einige kleine Drawbacks, beispielsweise ist die Software war auf den US-Markt zugeschnitten (diverse Services haben hierzulande einfach nicht funktioniert). Das hat man zum Österreichstart von Netflix sehr gut gesehen – die eingebaute netflix-app hatte damals netflix.com fix verdrahtet – netflix.at war nicht zu verwenden.

Die Boxee Box by D-Link zeigt, dass der Fokus auf Online ist. 1 GB nichtflüchtiger Speicher, der nicht erweitert werden kann. Kein USB 3, nur 100 MBit Ethernet und WLAN 802.11n (300 mbps).
Es reicht fürs Streaming von unserer NAS. 1-2 Online-Services verwenden wir ebenfalls. Alles läuft flüssig, die Bedienung mit der Boxee Remote funktioniert großartig.

Kapitel 2: Streaming-Services erreichen Österreich

Netflix startet in Österreich. Amazon macht mit Prime Video ein Hybridangebot auf. Flimmit kommt nicht so richtig in die Gänge. Die Boxee Box wird bei uns langsam abgelöst durch Chromecast und später durch den Amazon Fire TV Stick. Ab dem Zeitpunkt, als Kodi auf dem Fire TV installiert wurde, wurde die Boxee Box im Grunde nicht mehr verwendet. Adieu, liebe Boxee, ab in den Keller mit dir – als Backpu-System-

Das Backup-System wurde nie gebraucht, Die Boxee Box verstaubte. Samsung kauft Boxee  und schließt den Laden sofort. Ab diesem Zeitpunkt war für uns klar: Wenn wir ein System haben wollen, über das wir die Kontrolle haben, kann es die Boxee nicht mehr sein. Also weg damit.

Kapitel 3: Boxee+ Hacks

Wir springen in das Jahr 2024. Bevor die Boxee in Elektroschrott landet, wollte ich mir einmal ansehen, ob die Boxee heutzutage noch etwas taugt. Zeigt sich: sehr bedingt. Damit sie überhaupt noch startet, muss ich in meinem DNS-Server diverse Dinge umstellen, damit boxee.tv „gültige“ Antworten liefert. Da ich das leider zu spät gelesen habe, habe ich die Boxee Box zurückgesetzt und kann die Boxee-Oberfläche nicht mehr verwenden. Ich hänge am Login Screen und hier wäre das Experiment auch zu Ende, wenn ich nicht Boxee+ Hacks installiert hätte. Mit Boxee+ kann ich via Telnet/SSH/FTP auf die Boxee zugreifen. Findige Bastler haben hier die Möglichkeit geschaffen, Kodi zu installieren und statt Boxee zu starten.

Aber…

Ich musste erst einmal googlen, wie das mit Telnet so läuft, in einem modernen Linux-System (Fedora Kinoite). Stellt sich heraus: netcat macht es jetzt. Natürlich genauso unkomfortabel wie Telnet seinerzeit. Aber egal, jetzt bin ich im System. Wie war nochmal das Passwort? Laut Github „secret“, aber das geht nicht. Hm. Probieren wir doch einmal SSH. Das sollte doch funktionieren.

Oder?

Dann mal los…

➜ ~ ssh 192.168.1.23 -p 22
Unable to negotiate with 192.168.1.23 port 22: no matching key exchange method found. Their offer: diffie-hellman-group1-sha1,diffie-hellman-group14-sha1

Okay – wir kennen das Prozedere. Fehler googlen und nochmal rein.

➜ ~ ssh 192.168.1.23 -p 22 -oKexAlgorithms=+diffie-hellman-group1-sha1
Unable to negotiate with 192.168.1.23 port 22: no matching host key type found. Their offer: ssh-rsa

Man wiederhole den Schritt da oben. Langsam kommt mir ein Verdacht. Es sind ja ein paar Algorithmen aus OpenSSH rausgeworfen worden – Wenn ich mich nicht irre, waren sie in Fedora, was das angeht, die ersten. Anyway, wir werfen Google an.

➜ ~ ssh 192.168.1.23 -p 22 -oKexAlgorithms=+diffie-hellman-group1-sha1 -oHostKeyAlgorithms=+ssh-rsa
Unable to negotiate with 192.168.1.23 port 22: no matching host key type found. Their offer: ssh-rsa

Das Kopfweh wird stärker.

➜ ~ ssh 192.168.1.23 -p 22 -oKexAlgorithms=+diffie-hellman-group1-sha1 -oHostKeyAlgorithms=+ssh-rsa -oPubkeyAcceptedAlgorithms=+ssh-rsa
Bad server host key: Invalid key length

Meine Geduld war am Ende. Was mache ich? Wie komme ich via SSH auf die Boxee?
Welches Programm kann ich unter Linux verwenden, das dann am Ende nicht dann doch den eingebauten ssh-Client verwendet? Nun… wie wäre es mit PuTTY? PuTTY ist auch als nativer Linux-Build verfügbar und wie unter Windows verwendet PuTTY eine eigene Implementierung. Gesagt – getan. Putty gestartet, Boxee-IP eingegeben und… Passwort? Wie ist das Passwort?

An dieser Stelle habe ich mein Vergangenheits-Ich verflucht, das damals schon jedes Standard-Passwort abgeändert hat, ohne es aufzuschreiben. Also gut, welche Optionen habe ich? Schauen wir mal via FTP auf die Boxee. Und siehe da – das ganze Dateisystem liegt mir zu Füßen.

Okay, ich bin drin. Und schaue mich um. Uralter Kernel. Altes Samba mit gravierender Lücke (was Boxee+ möglich gemacht hat).

Wir installieren Kodi 14 (!!) und starten die Boxee neu.

Kodi spielt die Videos ab. Anständig. Die Boxee-Remote funktioniert Out of the Box. Sehr gut. Was geht nicht? Samba-Verbindung zu meiner NAS. Warum kann ich nur mutmaßen – aber die Community sagt im Grunde immer das Gleiche: SMB1 aktivieren, dann sollte es gehen. Will ich das? Nein, wirklich nicht. Nur für die Boxee eine bereits abgekündigte Protokollversion zu aktivieren, macht für mich keinen Sinn. Am Ende kann ich das vielleicht gar nicht – dann bin ich wieder beim gleichen Dilemma wie oben bei SSH.

Die Boxee als Server?

Es gibt da einen Reddit-Thread, in dem jemand schreibt, dass die Person ein Skript geschrieben hat, mit dem Alpine-Linux in einer chroot-Umgebung erstellt und gestartet werden kann.

Ich habe es gerade probiert – tausende „Permission denied“s. An dieser Stelle breche ich das Experiment ab, ehrlich gesagt will ich nicht zuviel Energie drauf verschwenden, die Boxee auf Servertauglichkeit abzuklopfen.

Fazit:

Es gibt etliche Gründe, weshalb die Boxee Box jetzt in den E-Schrott wandert.

  • Hardware:
    • CPU: 32-Bit, uralt. Jetzt, gerade in den Zeiten der CPU-Sicherheitslücken kann das Ding als Server nicht mehr verwendet werden.
    • 100MBit Ethernet, USB 2.0. Externen Speicher kann man nicht wirklich sinnvoll anbinden mit dieser Geschwindigkeit.
    • WLAN 802.11n: Ein Lichtblick – 300MBit Anbindung – im Optimalfall.
    • Upgradefähigkeit der Hardware: Die WLAN-Karte ließe sich zwar ausbauen – viele Möglichkeiten hat man dann aber auch nicht. Eine USB3-Karte kann man nicht einbauen, weil der dafür benötigte SATA-Stromanschluss fehlt.
    • Headless-Betrieb: Ohne Monitor ist die Boxee nicht ansprechbar
  • Software
    • Als Media Center mit Kodi: SEHR eingeschränkt verwendbar. WLAN lässt sich nicht konfigurieren aus Kodi heraus. Ein Verkauf via Willhaben fällt demnach also flach. Die Kodi-Plugins sind uralt und vermutlich zu einem großen Teil „kaputt“.
    • Kernel, Samba und andere kritische Dienste (also alle) nicht aktualisierbar.
    • Alpine-Linux in einer chroot-Umgebung ist zwar nett – aber das Grundproblem bleibt bestehen
    • Skripte von Boxee+ Hacks sind für einen Serverbetrieb nicht verwendbar

Sehr schade. Die Boxee Box hat sich das Mäntelchen der Offenheit umgehängt, dabei war sie von Anfang an „tivoisiert„. Die Hardware ist zwar schon in die Jahre gekommen, aber zumindest vor einige Jahren hätte sie noch ein paar Services hosten können – wenn sie offen gewesen wäre. Jetzt ist sie „offener“ E-Schrott, obwohl die Hardware noch geht. So etwas geht mit ganz gewaltig gegen den Zeiger.

Adieu Boxee Box. Wir hatten eine großartige Zeit. Ab in den Müll mit dir – du bist unbrauchbar.

Links:

Kampf um die Mattscheibe: Apple TV vs. Boxee Box im Test – Innovationen – derStandard.at › Web

Samsung schnappt sich Boxee – IT-Business – derStandard.at › Web

Boxee Box: Die Fernsehzukunft – So nah und doch so fern… – Streaming und TV – derStandard.at › Web