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Österreich und das Konkordat

  • 6. Januar 2012

Gestern hat im aufgeblähten Beamten-, Vereins- und Verwaltungsstaat Österreich wieder einer seine Kompetenzen ausgeweitet. Der Obmann des oberösterreichischen Bauernbundes, Max Hiegelsberger, hat am Sonntag scheinbar etwas zu tief in den Messbecher geschaut: Er will, dass auch “Kirchensteuerflüchtlinge” (sic) die Kulturgüter mitfinanzieren – Österreich ist ja stark mit dem christlichen Glauben verzahnt, die Kultur hat einen großen christlichen Stempel aufgedrückt bekommen.

Ich bin katholisch erzogen worden. Seit meiner frühen Kindheit wurde ich (später gegen meinen Willen) in die Kirche geschleppt, war natürlich brav im Religionsunterricht. Ich hatte das sehr sehr große Glück, an zwei einigermaßen liberale Pfarrer geraten zu sein – zumindest Volksnähe und Pragmatismus dürfen sich beide wohl auf die Kappe schreiben. Gerade durch diesen Einfluss hat die Jungschar, die Erstkommunion, die Firmung und diverse andere Festivitäten sehr viel Spaß gemacht. Mir war zum Beispiel sehr lange nicht bewusst, dass die Jungschar eine katholische Teilorganisation ist. Für mich war die Gemeinschaft und die Zeit mit Freunden sehr wichtig. Später war mir das sonntägliche Kirchgehen zuwider, habs dann aber unwillig mitgemacht. Meine Eltern haben mir gesagt, ich kann später machen, was ich will, aber solang ich daheim wohne, komme ich mit in die Kirche.
Mit 12 Jahren kam ich in ein katholisches Internat. Wöchentlich am Dienstag in die Messe, beten vor dem Essen, beten in der Studierstunde und gelegentlich eine Rorate um 6:00 und eine Vesper um 18:15, aber letztgenannte waren freiwillig.
Mit meinen Eltern konnte ich wenigstens noch über “meine” Religion reden. Kritsch, meine Mutter war da ein recht guter Ansprechpartner. Im Internat konnte ich mit keinem Erzieher über meine Religion reden. Deswegen war meine Taktik dort, unter dem Radar zu fliegen. Ich habe meinen eigenen Weg gefunden, meinen ganz persönlichen Umgang zum Christentum gefunden. Das tolle daran ist, dass er den Katholiken widerspricht, das macht mir ganz besonders viel Spaß. *trollface*
Mit der Volljährigkeit kam auch die Option des Austritts aus der Kirche ohne die Einstimmung der Eltern. Für mich waren damals zwei Gründe wichtig. Die Kirchensteuer, die die Kirche nach dem Fall des dritten Reichs nie ausgesetzt hat und der wichtigere Grund aber war: Mir gab die röm-kath Kirche einfach nichts mehr.
Ein paar Jahre später dann der Supergau für die Kirche: Hunderte von Mißbrauchsopfern meldeten sich und die Reaktion der Kirche war voller Arroganz und 2000 Jahre altem Filz. Hier trennte sich dann die Spreu vom Weizen: Pfarrer, die durchaus Revolutionswillen hatten, zeigten wirklich Eier, leider fand der Großteil und naturgemäß auch die Führungsriege Worte dagegen. Leider ist der Filz immer noch stärker und deswegen ist ein Austritt für mich auch aus moralischen Gründen immer wahrscheinlicher geworden.

Ich habe es dennoch (noch) nicht gemacht, meine Freundin ist mittlerweile ausgetreten, aus sehr ähnlichen Gründen, wie es die meinen sind. Für mich war es lange eine Streitfrage, ob die Hochzeit nun auch kirchlich stattfindet – weil es eben ein sehr schönes Fest ist. Mittlerweile bin ich davon abgegangen. Der Tradition wegen feiere ich nicht zweimal eine Hochzeit. Soweit die Kurzfassung.
Ich bin ein vehementer Kirchengegner. Ich bin kein Gegner des Christentums, ich bin ein Gegner der Katholischen Kirche. Ich bin ein Gegner einer Vereinigung die permanent versucht, Menschen in einer mündigen Gesellschaft runterzudrücken und Vorschriften aufzustellen, wo es einfach keine braucht.

Für mich ist der “Vorschlag” von Hiegelsberger in vielerlei Hinsicht falsch. Ich habe vor einigen Wochen eine Unterstützungserklärung für ein Volksbegehren gegen die Kirchenprivilegien, die die röm-kath Kirche in Österreich genießt, unterschrieben. Leider hat dieses Volksbegehren noch zuwenig Unterstützer – das ändert sich hoffentlich bald. Selbstverständlich handelt es sich dabei erst um einen rohen Rohentwurf, ohne Feinheiten – dennoch ist dieses Konstrukt abzulehnen. Nicht etwa des Konstruktes wegen, sondern der Person wegen, der Formulierung wegen, der Umstände wegen und des Zweckes wegen. Nun aber von Anfang an:
Hiegelsberger ist Obmann des oberösterreichischen Bauernbundes, und daher ein ÖVPler, sprich ein christlichsozialer. Schon setzt sich ein Bild zusammen, dass mir zutiefst widerstrebt: Ein Bauer, der jeden Sonntag in die Kirche geht, während die Frau zuhause am Herd steht, damit das Mittagessen pünktlich am Tisch steht. Hiegelsberger entspricht in der Realität vermutlich nicht diesem Bild – jedoch ist das Denken garantiert sehr ähnlich in seinem Kopf verankert. Österreich hat ein großes Problem – die christliche Kultur katholische Kirche ist fest in der Gesellschaft und im Staat verankert. Die ÖVP macht es vor: Obwohl der Spruch "Hände falten, Goschn haltn" nicht von der ÖVP kommt, wird er doch stets mit ihr verbunden. Wieso? Ganz einfach – die ÖVP ist noch immer die gleiche christlichsoziale, die sie vor Jahrzehnten schon war. Genauso wie die Kirche musste sich die Partei nie verändern – wieso auch? Die Gesellschaft ist durchwuchert vom Katholizismus. Eine Partei, die eben diesen lebt, muss sich genausowenig verändern wie die Kirche selbst. Hiegelsberger sieht die Felle wegschwimmen. Die Schafe sind schon vor langer Zeit mündig geworden. Die Menschen benötigen zwar immer noch einen Rat, aber keinen Führer mehr. Die Menschen stellen Fragen – und gerade für die Kirche wird es hier eng. Wo früher noch oft einfach das dogmatisch Gelehrte geschluckt wurde, müssen jetzt wirklich handfeste Vorschläge und Lebenshilfen her. Mittlerweile fragen sich die Menschen, warum ein Pfarrer ihnen Ehetipps geben kann, oder woher ein Bischof wissen will, was er jungen Paaren raten soll? Die Weisheiten des Klerus sind begrenzt, dennoch nehmen sie sich heraus, über das Leben der Schafe wachen zu können. Wir leben im Jahr 2012, 1980 Jahre nach Christi Auferstehung Tod. Die Kirche hat sich seit 1000 Jahren kaum verändert, ja sogar teilweise Rückschritte gemacht. Die Kirche hat keine Antworten zu Fragen, die sich erst jetzt stellen. Gott ist nicht die Pauschalantwort. Twitter ist schneller als jeder Pfarrer, außer twitternde Pfarrer. Hiegelsberger geht vermutlich bei seinem Pfarrer regelmäßig aus und ein. Seit einem Jahr werden die Zahlen der Kirchenaustritte immer zögerlicher herausgegeben, wieso wohl? Der Pfarrer, vermutlich ähnlich weltfremd wie der ehemalige Pfarrer von Kopfing, wird wohl jammern, weil seine Anhängerschar immer kleine wird. Hiegelsberger bangt um seine Kirche, und dazu hat er allen Grund. So wie es aussieht, steckt der Mensch noch im vergangenen Jahrtausend fest – und in einer Kirche, die den Schritt genausowenig gemacht hat. Dabei befindet sich Hiegelsberger in bester Gesellschaft. Oberösterreich ist laut Erzählungen von Augen- und Ohrenzeugen voll mit solchen mittelalterlichen Pfarrern und anderen Geistlichen. Es soll Pfarrer geben, die jede Woche die Kirchenaustritte bei der Predigt namentlich verkündigt. Es soll Pfarrer geben, die den Eltern eines bei einem Autounfall verunglückten Jugendlichen vorgeworfen haben, dass das nicht passiert wäre, wenn sie jeden Sonntag in die Kirche gegangen wären. Diese Kirche ist symptomatisch für das Problem, in dem Österreich steckt. Dabei ist die Gesellschaft schon längst so heterogen geworden, wie es wohl zuletzt im Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn der Fall war. Allein an den Kirchenaustritten gerechnet, müssten die Konfessionslosen doch schon längst die Mehrheit bilden, oder? Wir haben serbisch-orthodoxe, Muslime, Zeugen Jehovas, Mormonen und Konfessionslose. Wer sind nun Kirchensteuerflüchtlinge? Das kann Hiegelsberger wohl nicht ernst meinen. Für mich ist der Vorschlag ganz klar: Der Maxl will, dass die Leute, die ausgetreten sind, trotzdem für ihre Kirche zahlen. Ich bin überzeugt davon, dass er sich einen Dreck um die Kulturbauten des Landes schert – für ihn zählen nur die Kirchen. Somit wäre so eine Kulturabgabe, wie es die ÖVP wohl umsetzen würde, eine Kirchensteuer durch die Hintertür. So eine Steuer wäre für die Kirche das Beste seit langem: Sie könnten weiterwurschteln wie bisher, sie könnten die gleichen Irrlehren aus dem vorvorigen Jahrhundert verbreiten und weiterhin solche rückständigen Pfarrer beschäftigen, ohne auf das Feedback von der Bevölkerung hören zu müssen.

Allein die Kirchensteuer ist an sich schon grundfalsch. Ich soll 1% meines Einkommens für eine Kirche bezahlen, die mir nichts gibt? Wie im Vorspann bereits erwähnt, gibt es durchaus Pfarrer, denen ich soviel zahlen will. Andererseits gibt es auch solche, die einfach nur weggesperrt gehören. Dummerweise existiert in der Kirche auch das altbekannte Peter-Prinzip ("In einer Hierarchie neigt jeder Beschäftigte dazu, bis zu seiner Stufe der Unfähigkeit aufzusteigen.") und daher habe ich von der "Basis" keine Angst – das sind alles Schafe, die dem Bischof folgen – mit unterschiedlicher intensiver Nutzung des eigenen Verstandes. Das wirkliche Problem ist der Kopf – wo der Fisch naturgemäß zu stinken beginnt. und der Kopf entfernt sich immer mehr und mehr von der Basis, erkennt die Probleme und Wünsche der Basis nicht mehr. Wie kommt ein so veralteter Apparat dazu, mein Einkommen zu schätzen? Wie kommt der Apparat dazu, meine personenbezogenen Daten einfach so vom Meldeamt zu beziehen? Wieso können wir die Kirche nicht leistungsabhängig finanzieren? Wenn der Kirchenbeitrag variabel wäre, könnte man als Individuum selbst festlegen, wieviel man der Kirche bezahlen möchte. Ein derartiger Modus wäre zudem ein direktes Feedback für die Kirche. Wenn ich die Wahl hätte, der Kirche nur 30% von meiner regulären Kirchensteuer zu zahlen, sollte das ein eindeutiges Signal sein. Die Kirchensteuer, wie sie jetzt besteht, ist nicht zukunftsfähig. Ich könnte mir genauso vorstellen, dass man über eine Zweckbindung eines Teils der Kirchensteuer reden sollte.

So wie es aussieht, ist jeder mit dem Status Quo zufrieden – und manche können den Hals sogar nicht voll genug kriegen, wie Hiegelsberger eindrucksvoll beweist. Mir kommt das kalte Kotzen. Hiegelsberger hat  offensichtlich nicht begriffen, dass solche Aussagen der Kirche nur schaden – es treibt die Leute weder zurück, noch zahlen sie bereitwillig irgendeine Abgabe. In seinem begrenzten Horizont gibt es vermutlich nicht sehr viele Menschengruppen. Dazu zählen wahrscheinlich die braven Katholiken, die Ungläubigen und die Ungläubigen Verräter, von ihm liebevoll "Kirchenbeitragsflüchtlinge" genannt. Schön und gut, es gibt immer noch einige Leute, die wegen dem Geld ausgetreten sind. Das ist aber meiner Meinung nach ein niederer Beweggrund, dennoch ein Beweggrund – und es sollte diesen Menschen gewährt sein, den Grund selbst auszusuchen. Unser Staat, unsere Gesellschaft mag zwar auf dem christlichen Glauben aufgebaut sein, aber gerade die jüngsten Ereignisse zeigen, dass die Kirche nur noch ein Klotz am Bein ist, eine Last, ein Knebelvertrag hält den Staat an der kurzen Leine des Vatikans. Das Konkordat, im Austrofaschismus durch Dollfuß geschlossen, gewährt der Kirche Privilegien, die jeden halbwegs mündigen Menschen den Kopf schütteln lässt. Hiegelsberger scheint wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten. Er weiß, dass der Kirche reihenweise die Mitglieder weglaufen. In seiner beschräntken Sichtweise sieht er aber als einzigen Grund der, dass etwas gezahlt werden muss, wenn man "drin ist". Er sieht nicht ein, dass manche einfach aus diesem Sauhaufen austreten, weil es ein Sauhaufen ist. Gerade die jüngsten Ereignisse haben sehr viele Menschen enttäuscht. Dennoch hat niemand etwas dagegen unternommen. Arroganz? Definitiv.

Eine Kulturabgabe wäre nicht zu verachten – es gibt genug Bauten, denen man Beachtung schenken muss. Hiegelsbergers Hintertürkirchensteuer ist aber definitiv abzulehnen. Hätte jemand anderer diesen Vorschlag gemacht, hätten es viele Menschen anders aufgefasst und wahrscheinlich sogar positiver reagiert. Max will nur seine Kirche retten, damit diese weiterwurschteln kann, wie sie es bereits jetzt schon tut. Nur den status quo nicht verändern. Dann müsste man sich ja ändern. Zum Schluss ist der Papst nicht mehr unfehlbar. Unglaublich, sowas.

Ich für meinen Teil bezeichne mich als Agnostiker. Ich bin kein Atheist, und glaube auch nicht an ein höheres Wesen. Ich kann beim besten Willen nicht mit endgültiger Sicherheit sagen, ob es so etwas gibt, oder nicht.

Katholiken sind in dem Punkt auch arrogant. Wieso sollte sich ein allmächtiges Wesen nur um Katholiken kümmern? Wieso sollte ein allmächtiges Wesen den Missionaren befehlen, anderen Menschen (früher: Heiden) den christlichen Glauben aufzudrücken? Die Kirche hat die letzten 2000 Jahre sehr viel falsch gemacht. Diese Fehler sind bei Gott nicht im Mittelalter zu suchen, sondern auch in der Jetzt-Zeit – die jüngsten Missbrauchsfälle und der Umgang damit sprechen Bände.
Erst wenn die Kirche diese Fehler zugibt, wird sie wieder glaubwürdig sein. Tut Buße!

Diese Fehler werden nicht in absehbarer Zeit zugegeben werden. Es braucht ein eindeutiges Signal, dass wir senden können. wir müssen das Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien initiieren. Das Volksbegehren richtet sich nicht gegen die Kirche, aber die Kirchenprivilegien sind nicht mehr zeitgemäß und müssen überarbeitet werden. Deswegen sollte man unbedingt Unterstützungserklärungen unterschreiben: http://www.kirchen-privilegien.at/

Das Konkordat von 1933

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